Aus der Stadt der Moderne für ein Wochenende nach Berlin. Unter fachlicher Leitung durch den Architekt, Grafiker und Dozenten Jürgen Villmow setzten die angehenden „Gestalter im Handwerk“ der Handwerkskammer Chemnitz Ende Juni einen Höhepunkt nach fast einem Jahr ihrer zweieinhalbjährigen Weiterbildung. Selbst organisiert starteten die Teilnehmer gut gelaunt in zwei lehrreiche Tage. Der Potsdamer Platz mit dem Sony-Center wurde durch bedeutende Architekten von Weltrang errichtet und war am Samstag der gewählte Startpunkt des Ausflugs. Weiter ging es mit der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe, die für die Klassische Moderne steht und 1968 eröffnet wurde. Danach bestaunten die Teilnehmer das Kunstgewerbemuseum im Kulturforum, welches als eine der bedeutendsten Sammlungen des europäischen Kunsthandwerks vom Mittelalter bis zur Gegenwart gilt, mit großem Interesse und dem Blick für das eigene Gewerk. Der Weg zu Fuß durch den Berliner Tiergarten führte schließlich zum „Haus der Kulturen der Welt“, welches ursprünglich als Kongresshalle diente. Sie entstand als amerikanischer Beitrag zur IBA 1957 und sollte die Freiheit des Gedankenaustauschs verkörpern. Im Haus selbst war an jenem Tag die Performance „Portent“ des britischen Künstlers Eddie Peakes zu sehen. Zudem ging es für die Teilnehmenden ins Hansaviertel, mit dem sich die Internationale Bauausstellung 1957 befasste. 53 Architekten aus 13 Ländern arbeiteten an der Neugestaltung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Viertels im Stile der Nachkriegsmoderne.
Am Sonntag fuhr die Gruppe zum Mexikoplatz, ein Wohn- und Schmuckplatz im Berliner Ortsteil Zehlendorf und Vorplatz des gleichnamigen Bahnhofs. Einer der schönsten und repräsentativsten Bahnhöfe Berlins wurde von den Architekten Hart und Lesser auf der Strecke Berlin–Potsdam im Jugendstil errichtet. Der Platz wurde vom Zehlendorfer Gartendirektor Emil Schubert als symmetrisches Ensemble angelegt. Die Bänke am Springbrunnen waren zum skizzieren des Bahnhofs gut angelegt. Danach führte die S-Bahn weiter nach Spandau zum Corbusierhaus, ein nach Plänen des Architekten Le Corbusier errichtetes Hochhaus und Solitär im Berliner Ortsteil Westend, mit dem er den Brutalismus begründet.
Das nahe gelegene Olympiastadion als Teil des Olympiageländes wurde von 1934 bis 1936 für die Spiele durch die Architekten Otto und Werner March errichtet, war aber aufgrund der derzeitigen Fußball-EM weitestgehend abgesperrt. Geöffnet hingegen waren zum Abschluss des zweiten Tages das Schloss Charlottenburg und das diesem gegenüber liegende Bröhan-Museum. Die einstige Sommerresidenz der preußischen Könige präsentierte sich prächtig restauriert, wie zu Zeiten der jeweiligen Entstehung. Errichtet in mehreren Abschnitten ist das Schloss den Stilrichtungen des Barocks, des Rokokos und des Klassizismus zuzuordnen. Im Bröhan-Museum war zudem eine einzigartige Sammlung von Jugendstil, Art déco, eine Sonderausstellung „Belles Choses“ und Funktionalismus sowie Kunst der Berliner Secession zu sehen.
„Alles, was wir angeschaut haben war interessant und wichtig. Zusammengefasst, eine gelungene Mischung aus Wissensvermittlung, ästhetischer Fortbildung und sozialer Zusammenkunft“, zieht Kursteilnehmer David Roether ein positives Fazit. (Juni 2024)
Die UNIKATE, die Ausstellung der Gestalter im Handwerk, ist fester Bestandteil und zugleich Endpunkt einer intensiven Zeit. Diese besondere achte UNIKATE fand vom 17.06. - 02.07.2023 in der Stadthalle Chemnitz statt.
Von Ulrich Steudel
Raumausstattermeister Sebastian Riedel arbeitet mit den Schwerpunkten Polsterei und Wandbespannungen. Außerdem bietet er Farbberatung für Raumkonzepte an.
Sebastian Riedel ist momentan schwer erreichbar. Jeden Morgen bekommt er sein Smartphone abgenommen wegen des Fotoverbots bei seinem Auftraggeber. Dass der Raumausstattermeister Interieur für eine Edelmarke der Automobilbranche polstern und kaschieren darf, kommt nicht von ungefähr. Der 32-Jährige aus Obercrinitz in Westsachsen gilt als kreativer Kopf. "Für mich gehört Sorgfalt zum obersten Gebot – bei meinem eigenen Tun, gegenüber dem Material und gegenüber der Kundschaft", betont Riedel.
Austausch unter den Gewerken
Das Fundament für seine Einstellung zum Beruf wurde während der Fortbildung zum Gestalter im Handwerk bei der Handwerkskammer Chemnitz gelegt. Aus dem Austausch mit Dozenten und Absolventen anderer Gewerke zog Sebastian Riedel eine grundlegende Erkenntnis: wie wichtig es ist, andere Perspektiven einzunehmen. "Davon kann ich im Beruf wie im privaten Leben profitieren", so Riedel.
Für die Abschlussarbeit seines Teilzeitkurses zum Thema Freiraum vollzog er den Perspektivwechsel. Als passionierter Skifahrer entwickelte er einen Sport- und Nierengurt mit seitlichen Taschen als Aufnahme für die Skistöcke. So wird der Gurt zur Sitzgelegenheit, wo immer eine kleine Pause willkommen ist. Den Gurt hat sich Riedel als Gebrauchsmuster schützen lassen, dessen Namen dem heimischen Dialekt entlehnt. "De Hiddsch" steht dort für eine kleine Bank, die man überall mit hinnehmen kann.
Über Umwege zum Handwerk
Zum Handwerk ist Sebastian Riedel über Umwege gekommen. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst eine Lehre zum Industriemechaniker. Doch die Arbeit erschien ihm schon während der Ausbildung zu eintönig. Viel lieber arbeitete er in der Werkstatt seines Vaters mit. Dort fand er jene Abwechslung, die er sich immer für seinen beruflichen Alltag gewünscht hatte. Vielseitigkeit statt Monotonie, intellektuellen Anspruch statt stupides Montieren, direkten Kontakt zu den Kunden.
Deshalb entschied sich Riedel für eine gewerkeübergreifende Fortbildung im gestalterischen Bereich, die auch sein Vater schon absolviert hatte. "Im Nachhinein betrachtet war das genau die richtige Entscheidung", sagt Riedel, denn die Ausbildung habe seine Sicht auf die Dinge maßgeblich beeinflusst. Er praktiziere seither eine andere Herangehensweise als viele konventionelle Betriebe – zunächst nur im Nebengewerbe, seit dem Meisterabschluss mit eigener Werkstatt.
Schwerer als der Profit wiegt für ihn die persönliche Zufriedenheit im Job. "Natürlich muss auch die Wirtschaftlichkeit stimmen, aber das darf nicht das einzige Kriterium für den beruflichen Erfolg sein", sagt Riedel. Wachstum definiert er für sich nicht in Umsatzzahlen oder Gewinnmargen. Wachsen soll die Qualität seiner Aufträge und das Kundenklientel – nicht zuletzt möchte er als Persönlichkeit wachsen.